Sonntag, 2. April 2017

Abschied nehmen

"Wir müssen uns früher oder später von allen Menschen verabschieden. Es kommt darauf an, wie man die gemeinsame Zeit nutzt."

Den Satz habe ich die Tage in einem Buch gelesen und er trifft mitten ins Herz. Ich weiß nicht, ob ich die richtigen Worte finden kann für das, was mich vergangene Woche so bewegt hat.

Kurz nachdem ich meinen letzten Blogeintrag online gestellt habe, bekam ich einen Anruf von zu Hause. Schon in der Vergangenheit beschlich mich immer ein ungutes Gefühl, wenn meine Mama unbedingt kurzfristig telefonieren wollte. Diesmal war es die traurige Wahrheit - meine Oma war zu Hause friedlich eingeschlafen. Ich kann nicht sagen, dass es überraschend kam, nach diversen Krankenhausaufenthalten und längerer Krankheit. Schon bevor ich geflogen bin, haben wir uns mehrmals tränenreich verabschiedet. 88 ist ein stolzes Alter - trotzdem habe ich immer gehofft, sie wiedersehen zu können. Wir hatten bereits vorab besprochen, dass ich nicht nach Hause fliege, wenn es soweit sein sollte. Ich muss aber eingestehen, dass ich trotzdem darüber nachgedacht habe. Jeder, der einen geliebten Menschen verloren hat, dem er sehr nahe stand, der kann sich ungefähr vorstellen, wie es mir die letzten Tage ging. Mir war durchaus bewusst, dass alle in Gedanken auch bei mir sind, doch war ich trotzdem mit meiner Trauer alleine. Manchmal braucht man niemanden, der mit einem darüber redet, sondern der einen in den Arm nimmt oder die Hand hält.
Nach einer kurzen Nacht entschied ich mich Sonntag morgens mit in die Kirche meines Gastvaters zu gehen, der Anglikaner ist, eine Mischung aus katholischen und protestantischen Elementen. Für mich hat das keine Rolle gespielt, schließlich beten wir alle zum gleichen Gott. Erst kurz vor der Kirche habe ich es übers Herz gebracht den beiden von den Vorkommnissen in der Heimat zu berichten. In der Messe selber konnte ich mich oft nicht zurückhalten, Tränen flossen ununterbrochen. Ich sah aus wie ein Häufchen Elend und fühlte mich auch so. Genau an diesem Tag wurde hier dann auch noch Muttertag gefeiert, alles war darauf ausgerichtet. Dan hielt kurz Rücksprache mit der Priesterin und dann würde ich plötzlich nach vorne gerufen, umringt von Müttern aus der Gemeinde. Sie sprachen ein Gebet für meine Oma, umarmten mich anschließend. Auch wenn es vielleicht nur kurzfristig geholfen hat, so war ich doch unheimlich dankbar dafür.
Die nächsten Tage vergingen - Montag und Dienstag fühlte ich mich noch nicht in der Lage auf Arbeit zu gehen, ich war einfach noch zu dünnhäutig. Dachte ich irgendwann keine Tränen mehr zu haben, so überkam es mich doch immer mal wieder. Während ich mit meinem Opa daheim telefonierte oder auch während ich jetzt schreibe, muss ich sie wieder unterdrücken.
Doch wie schon der Spruch am Anfang sagt, soll man sich auch an das Gute erinnern. Mir fallen 1000 Geschichten ein, in denen uns Oma herzlich zum Lachen gebracht hat. Wenn sie uns zum Beispiel flüsternd in einem Restaurant versuchte zu erklären, wie dick unsere Tischnachbarn doch seien - so laut, dass jeder im Raum es mitbekommen hat. Oder die klugen Ratschläge an meine Brüder, dass Weiber doch nur Geld kosten, in ihrem Alter sollen sie sich noch ein bisschen ausprobieren. Nie mussten wir in der Schule essen, weil sie immer zu Hause frisch für uns gekocht hat. Ihre Süß-Sauren-Eier sind legendär, die kann niemand anderes so zubereiten.
Langsam wird es besser. Vielleicht auch, weil so viel Raum zwischen mir und der Heimat liegt. Es wird immer wieder Momente geben, die weh tun. Doch auch hier gilt wohl der abgedroschene Spruch, dass die Zeit alle Wunden heilt.

"Je schöner und voller die Erinnerung, desto schwerer die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Erinnerung in stille Freude. Man trägt das vergangene Schöne nicht wie ein Stachel, sondern wie ein kostbares Geschenk in sich."
Dietrich Bonhoeffer

Am Mittwoch habe ich mich dann wieder zur Arbeit aufgerafft. Wie sagte mir hier jemand - vielleicht tröstet es dich ein bisschen, denn du hilfst, dass neues Leben das Licht der Welt erblickt. Da ist wohl ein Fünkchen Wahrheit dran.
Zum Glück gab es diese Woche keine Katastrophen. Langsam gibt es mehr zu tun. Während der Visiten lerne ich auch immer noch was dazu. Ich muss nicht ständig hinter jemandem herlaufen, kann Sachen alleine machen.
Am Freitag wird es einmal ein bisschen hektisch, als eine Frau plötzlich einen Kaiserschnitt brauch, von der es vorher hieß, dass sie schon entbunden habe. Dem war nicht so. Diesmal ging für afrikanische Verhältnisse doch alles relativ schnell. Es gab eine Inhalationsnarkose, sodass keine Zeit verloren ging.
Die Ausstattung im OP ist zwar nicht schlecht, trotzdem dürfte eine Deutsche Hygieneschwester hier einen Blick reinwerfen. Häubchen und Mundschutz gibt es nur auf Nachfrage und das für den ganzen Tag, nicht nach jeder OP wird gewechselt. Chirurgische Händedesinfektion funktioniert hier einfach mit einem Desinfektionsmittel aus einer kaputten Flasche, die man nicht steril mit dem Ellebogen bedienen kann.
Allgemein kommt Desinfektionsmittel für Untersuchungen aus großen Kanistern, die Mischung wird pi mal Daumen zusammengemixt und schäumt dann schön. Tupfer, die man zum desinfizieren braucht, muss man sich vorher selbst aus einer Watterolle auszupfen. Die Patienten werden nach einer OP zwar in eine Art Überwachungsraum geschoben, für die piependen Monitore interessiert sich aber selten jemand.

Alles ein einziges Durcheinander

Für die Gyn und Geburtshilfe wird hier gerade ein neuer Op-Trakt direkt nebenan gebaut. Wie ich mir habe sagen lassen aber schon seit sieben Monaten und es steht immer noch nicht einmal der Rohbau. Bauarbeiter sieht man nur ab und zu. Es könnten auch Leute von nebenan sein, ganz normale Klamotten, keine Schutzkleidung oder Helm. Das Traggerüst ist aus Holz, das aussieht, als hätte es einer kurz vorher irgendwo gefällt. Einen Kran gibt es nicht, Arbeitsschutz ist ein Fremdwort. Gearbeitet kann wahrscheinlich nur werden, wenn mal wieder ein bisschen Geld da ist.
Das ist wohl das Schwierigste an der ganzen Sache, denn Korruption ist ein riesen Problem hier. Erst vor ein paar Tagen hat die Regierung ihren Haushaltsplan für 2017/18 präsentiert. Was tatsächlich davon ankommt, ist aber fraglich. Fast jeden Tag gibt es in den Nachrichten berichte darüber, dass ein Politiker irgendwo Geld hat in die eigene Tasche wandern lassen.
Eine Woche, nachdem ich Kenia verlassen werde, sind hier Anfang August Wahlen. Unter den Bedingungen würde ich mich fragen, wen man überhaupt wählen kann.

Ich hoffe nächste Woche habe ich wieder ein bisschen mehr zu machen und kann euch von schöneren Dingen berichten...

Wer nicht genug bekommen kann von interessanten Reiseberichten, der ist herzlich eingeladen den Blog meiner Freundin Olivia zu verfolgen, die gerade in Südamerika unterwegs ist:
lafagotista.wordpress.com

2 Kommentare:

  1. Oh mir kamen gerade auch die Tränen als ich deinen Post gelesen habe. =(
    Ich wünsche dir ganz viel Kraft und Liebe! Ich war sehr gerührt, dass die Menschen in der Kirche dir etwas Trost spenden konnten.

    LG <3

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  2. Meine liebe Jana. Ich wünsche dir mein herzlichsten Beileid. Ich habe selbst vor nicht zu langer Zeit meine Oma verloren und musste direkt wieder mitweinen. Ich weiss wie es ist weit weg zu sein und allein zu trauern. Immerhin hatte ich Phil der für mich da war. Ich bin sehr froh könntest du mit deinem gastvater in die Kirche. Ich wünsche dir viel Kraft und Ermutigung für die nächste Zeit und viel hoffentlich immer ein verfügbares Häuptli mit Handschuhen 😉

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