Samstag, 25. März 2017

Ressourcenknappheit

Dan ist ein vielbeschäftigter Mann, dauernd läuft der Laptop oder er telefoniert, auch nach Feierabend. Sogar am Wochenende muss er häufig arbeiten und jederzeit für die Chefin errreichbar sein. Work-Life-Balance ist da ein Fremdwort. Darum ist er wirklich nicht zu beneiden, ich kann nur meinen Hut vor ihm ziehen. Als ich erzählt habe, das bei uns zu Hause gilt, dass am Tisch das Handy in der Tasche bleibt, war Lavender begeistert. Sofort wurde Dan das beim Abendessen auch vorgeschlagen und jetzt gilt hier meine erste Regel xD

Der erste Deutsche, den ich hier übrigens zu Gesicht bekommen habe, war Jürgen Klopp - im Fernsehen. Die Kenianer sind total verrückt nach europäischem Fußball. Spiele der Premiere League oder der Championsleague laufen hier live im Fernsehen in jedem"Restaurant" bzw. Bar.

Es ist Montag mittags, wie schaffen es tatsächlich ins Büro der Direktorin des Krankenhauses. Als ich erzähle, dass ich in Deutschland mein Studium bereits abgeschlossen habe, werde ich vom Intern - Praktikanten - zum Medical Officer ernannt. Dann wird ein Arzt aus der Gyn und Geburtshilfe angerufen, um mir eine Einführung zu geben und mich ein bisschen herum zu führen.

Im Innenhof des Krankenhauses

Die Maternity-Unit von außen

Natürlich springen einem sofort die Unterschiede ins Auge. Über den Computer, wie in deutschen Krankenhäusern, läuft hier eher wenig. Privatsphäre gibt es für die Patienten nicht. Normal sind Säle, in denen 8-10 Frauen zusammen liegen, Toilette und Dusche sind auf dem Flur.
Ich versuche mir alles zu merken, was ich erzählt bekomme, bin von soviel neuen Informationen aber doch überfordert. Als ich den Wochenablauf erklärt bekomme, muss ich erst einmal klarstellen, dass ich keine Nachtschichten alleine übernehmen werde. Ich bekomme ein bisschen Angst, dass der Aufstieg zum Medical Officer doch zu viel des Guten ist. Danach ist erstmal Schluss, am Dienstag um 8 soll ich wieder da sein. Anschließend mache ich mich das erste Mal alleine mit dem Matatu auf den Heimweg - und komme sogar an.

Dienstag morgens, mir geht es nicht gut, wahrscheinlich die Aufregung. Dann kommt auch nicht gleich ein Matatu, ich bin angespannt - aber was ist hier schon Pünktlichkeit ;-) Im Krankenhaus angekommen, hänge ich mich an Dr. Bhavdip, dessen Gesicht ich mir von Vortag gemerkt habe. Er ist ein indischstämmiger Kenianer, der in Moskau studiert hat und schmeißt zur Zeit die Station.
Die ersten 4 Wochen werde ich auf der Labour Ward - der Entbindungsstation Arbeiten und danach noch in die Gynäkologie und Wochenstation rotieren.
Ich stelle mich nochmal vor und kläre die Sache mit meiner Qualifikation auf. Die Positionen im Krankenhaus sind schwer mit denen in Deutschland zu vergleichen, aber ich denke er versteht, was ich ihm damit sagen möchte. Danach geht es auf Visite mit einer Art Oberarzt. Auf Grund des langen Streiks ist die Station noch relativ leer, die Woche wird entspannt.
Wir nehmen Patientinnen auf, untersuchen und verlegen sie oder nehmen Blut ab. Eine Untersuchung kann schnell aber auch mal nicht gemacht werden, weil einfach keine sterilen Instrumente da sind. Zum Labor muss man selber gehen, da es keine Person gibt, die Blutproben abholt. Auch im Labor ist die Ausstattung eher spärlich. So wird nicht so häufig Blut abgenommen und wenn, dann wird auch nur auf die wichtigsten Parameter geschaut. Eine Urinanalyse wird hier nur mit einem Teststreifen durchgeführt, was in den meisten Fällen in Deutschland als zu ungenau gilt.
Unter dem Arztkittel werden hier ganz normale Klamotten getragen, ein bisschen gewöhnungsbedürftig, aber doch sehr schick. Klar kommt man da auch schnell ins Schwitzen - es ist ja nicht so, als ob es in jedem Raum Ventilatoren geben würde.
Die vielen Abkürzungen in der Medizin sind im Englischen natürlich ganz anders, dauernd muss ich nachfragen. Schreibe aber eifrig mit, damit ich es mir irgendwann merken kann.
Zwar habe ich keinen hohen medizinischen Standart erwartet, was ich zu sehen bekomme, erschreckt mich aber doch ein bisschen. Von allem ist zu wenig da. Ich bin froh, Desinfektionsmittel und Handschuhe eingepackt zu haben. Es gibt zum Beispiel nur ein Blutdruckmessgerät für die gesamte Station, mit nur einer Manschettengröße. Das führt bei beleibteren Patientinnen dazu, dass garantiert falsche Werte herauskommen. Auch gibt es auf Station nur zwei Fetoskope. Mit diesen kleinen Trichtern werden die Herztöne des Kindes gemessen, denn es gibt kein einziges CTG, wie es in Deutschen Häusern Standard ist. Außerdem ist auch nur ein einziges Ultraschallgerät für das gesamte Krankenhaus vorhanden, kaum vorzustellen, wird doch in Deutschland fast alles damit untersucht. So lerne ich hier die Leopoldhandgriffe anzuwenden, die einem zeigen, wie das Baby im Bauch der Mutter liegt. Ich erinnere mich, dass wir uns im letzten Staatsexamen noch geärgert haben diese zeigen zu müssen, da wir es auf Grund der vorhandenen Bildgebung nie anwenden mussten.
Die Kinder kommen hier auch so auf die Welt. Man muss jedoch dazu sagen, dass sich die fehlende medizinische Ausstattung in der Säuglingssterblichkeit bemerkbar macht. Die liegt in Kenia noch bei 42,18/1000 im Jahr 2013. In Deutschland sind es im Vergleich nur 3,48/1000. Das heißt, dass im ersten Lebensjahr 42 von 1000 Neugeborenen versterben. Sicherlich hat das auch etwas mit der Versorgung von Frühgeborenen und Malaria zu tun. Den größten Anteil macht aber sicher aus, dass die vorgeburtliche Überwachung hier einfach nicht alles leisten kann. Wirklich erschütternd.
Der eigentliche "Kreißsaal" sind abgetrennte Kabinen, vor denen ein Vorhang ist, der bei Bedarf zugezogen werden kann.


Die Geburt leitet die Hebamme, Ärzte haben damit normalerweise nichts zu tun, wenn alles nach Plan verläuft. Die Liegen sehen nicht furchtbar bequem aus, auch gibt es nicht immer Licht. Durch die erste Phase der Geburt muss die Frau alleine durch, in einem Raum, in dem sie mit bis zu 7 anderen Gebärenden liegen kann. Währenddessen wird sie alle 4 Stunden untersucht. Erst für die Endphase geht es dann in die Kabine mit der unbequemen Pritsche. Der werdende Vater oder andere Begleitpersonen sind nicht dabei, kein extra Raum mit großer Liege, Geburtswanne, angenehmer Musik oder sonstigen Schnickschnack. Jeder von euch kann sich ja selber mal vorstellen, wie er sich in dieser Atmosphäre fühlen würde.
Bald assistiere ich beim ersten Notkaiserschnitt. Ein Notfalleingriff läuft aber ganz anders, wie bei uns, wo zwischen Entscheidung zur Sectio und Entbindung 20 Minuten liegen sollen. Hier werden erstmal in Ruhe Formulare ausgefüllt, Blut abgenommen, eine Flexüle gelegt. Dann schlendert man damit ins Labor und nach einer Stunde dann vielleicht in den OP. Bis die Patientin da ist, kann es nochmal eine halbe Stunde dauern. Der nächste Unterschied ist, dass bei Not-OPs in Deutschland keine Rückenmarksanästhesie durchgeführt wird, hier schon. Das verzögert den Beginn natürlich noch weiter. Zum Glück geht alles gut, das Kind ist gesund und munter. Der zweite Noteingriff, den wir eigentlich parallel durchführen sollten, muss warten bis der erste durch ist, da nicht genug OP-Personal da ist. Und so lässt das Unglück nicht lange auf sich warten. Der Geburtsverlauf hat das Kind so unter Stress gesetzt, dass das Fruchtwasser grün ist. Es schreit nicht, bewegt sich nicht. Ich bin erschüttert, für alle anderen scheint das Normalität zu sein. Wenn man weiß, dass das Baby noch leben könnte, wenn wir es drei Stunden früher geholt hätten, dann macht das doch ziemlich traurig. Es wird nicht die einzige Begegnung mit dem Tod in dieser Woche sein, normal ist es trotzdem nie. Zum Glück jedoch selten, den meisten Kindern geht es gut, ich habe auch kleine Glückserlebnisse.


Auf der Station, die 20 Betten umfasst, liegen außerdem auch Frauen, die bereits entbunden haben noch für einen Tag. Zusammen in einem Zimmer mit kritischen Schwangeren, die beispielsweise Bluthochdruck haben und Überwachung brauchen. Das heißt hier einfach, dass öfter mal ein Arzt oder eine Schwester nach ihnen schauen sollte, keine ständige Monitorüberwachung. Im gleichen Raum liegt aber auch eine Frau, die in der Nacht zuvor ihr Baby verloren hat. Es gilt die Regel: erst die Mutter, dann das Kind. Sie dann aber in einen Saal mit Müttern zu legen, die bereits glücklich entbunden haben, darauf würde in Deutschland wohl hoffentlich niemand kommen. Man mag sich nicht vorstellen, wie sie sich dabei gefühlt haben muss.
Die erste Woche ist schnell rum, mein Dienst beginnt um 8 und endet zwischen 16 und 17 Uhr. Frühstückspause gibt es keine, da knurrt nach 5 oder 6 Stunden ohne Essen der Bauch dann schon richtig. Dafür wird sich für das Mittagessen nach Möglichkeit eine Stunde Zeit genommen. Das gibt es umsonst im OP oder einer Art kleinen Kantine.

Viele Sachen bekommt man hier in kleinen Läden am Straßenrand oder auf provisorisch aufgebauten Ständen. Hier gekauftes Obst sollte man nicht essen, bevor man es nicht selbst gewaschen hat.


Auch Fleisch aus einer der vielen kleinen "Metzgereien" würde ich hier nicht kaufen. Die Kühlekette kann bei 30 Grad Außentemperatur doch nicht eingehalten werden.
Auch alle Sorten von Kleidung gibt es auf der Straße zu erwerben. Die meisten Sachen werden als Ballen zusammengepackt beispielsweise aus Europa geliefert, sind also gebraucht. Etwas anderes können sich viele auch wohl nicht leisten.


Mit ein bisschen Glück lässt sich aber vielleicht sogar ein Designerstück aus der Frühjahrskollektion von vor 10 Jahren ergattern ;-) Wichtig ist nur - immer handeln, als Weißer werden die erstmal utopisch hohe Preise angeboten.
Gummistiefel, die ich für den OP brauche, kriegen wir dann aber doch nur im größeren Supermarkt. Sie sind zwar schwarz, im OP hier werden weiße Stiefel getragen, das schützt aber hoffentlich vor Diebstahl.

Während ich das schreibe, gibt es wegen Starkregen schon zum dritten Mal diese Woche Stromausfall. Ob ich meine Gummistiefel also auch noch anderweitig nutzen muss und von neuen Abenteuern und Erlebnissen dann nächste Woche mehr...

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