Sonntag, 14. Mai 2017

Alltag kehrt ein

Mittlerweile ist der Wochenablauf hier schon in Fleisch und Blut übergegangen – viele Dinge werden selbstverständlich, man wundert sich gar nicht mehr darüber. Wenn ich früh mit dem Matatu auf Arbeit fahre, muss ich jedes Mal diskutieren, warum ich 30 Ksh bezahlen muss, obwohl andere nur 20 Ksh geben.
Oder auch das hinterherrufen der Männer: „Hey Madame, you are so beautiful“. Dagegen ist „ Hey Vanilla, do you like chocolate?“ wirklich kreativ xD Ich ignoriere das gekonnt, ansonsten kann man die Herren nämlich nicht mehr abschütteln. Wenn Kinder mich fragen:“Muzungu (Weiße) how are you?“, dann ist das meistens wirklich freundlich gemeint. Ein Unterton schwingt trotzdem mit. In Deutschland wird immer extrem Wert darauf gelegt, dass die Hautfarbe komplett egal und überhaupt nicht erwähnenswert ist, weil das schon als rassistisch gilt. Hier bin ich aber was Besonderes. Am Anfang war das noch ziemlich nervig, mittlerweile habe ich mich dran gewöhnt, dass mir ständig hinterhergeschaut wird.
Der einzige Platz hier in der Stadt, an dem ich mir nicht wie eine Außerirdische vorkomme, ist das Java House – ein Café. Und damit meine ich wirklich ein Café nach europäischem Standard. Manchmal brauche ich es einfach, nicht auf Plastestühlen zu sitzen und Instantkaffee vorgesetzt zu bekommen. Dann gönne ich mir einen Iced Vanilla Latte und Pancakes und fühle mich wie im Himmel auf Erden. Es sind die kleinen Freuden, die das Leben leichter machen. Und hier bin ich eben nicht die einzige „Weiße“. Es scheint so, als ob das der Sammelplatz für alle gestrandeten Ausländer ist, die auf gewisse Dinge nicht verzichten wollen.



Am Wochenende findet hier der größte Markt in Westkenia statt - Alltag

Auch im Krankenhaus kehrt nach dem einwöchigen Streik langsam wieder Alltag ein. Ich war nochmal eine Woche auf der Gynäkologie, schließlich fehlt mir die letzte Woche. Und da ich mir frei einteilen kann, wann ich wo arbeite, war das auch gar kein Problem.
Alle kennen mich, sogar die Putzfrau grüßt mich frühs mit Namen. So startet man doch gerne in den Tag.
Nur eines hat das Arbeiten extrem schwierig gemacht – die Leute vom Labor scheinen diese Woche nicht so ganz bei der Sache gewesen zu sein. Zweimal haben sie unsere abgenommenen Blutproben verschlampt. Das ist nicht nur unvorteilhaft, weil man die Patienten nochmal stechen muss, sondern auch, weil man bei der Visite angepampt wird, warum noch keine Ergebnisse vorliegen. Wenn man ständig betteln gehen muss, damit Proben ausgewertet werden, und dann plötzlich falsche Werte von einem ganz anderen Patienten vorgelegt werden, dann fragt man sich wirklich, wie im Labor gearbeitet wird. Das frisst auch extrem viel Zeit, die man ganz anders nutzen könnte. Außerdem gab es auch diese Woche wieder keine Blutkonserven – also auch keine geplante OP. Das ist nicht nur ärgerlich für die Patientinnen, sondern auch für mich. In den fünf Wochen in der Gynäkologie habe ich nicht ein einziges Mal eine Operation hier miterleben dürfen. Gerade um vergleichen zu können, hätte mich das wahnsinnig interessiert. Dafür habe ich trotzdem einiges über den Stationsablauf hier gelernt.
Da die Geburtenrate viel höher ist, sieht man aber auch mehr Fehlgeburten. Gerade diese Woche waren es doch ziemlich viele. Keiner mag sich vorstellen, was für ein traumatisches Erlebnis das für die Frau sein muss. Psychologische Betreuung danach gibt es hier aber nicht. Und in einem Raum mit fünf anderen Frauen kann man wohl auch nicht richtig zur Ruhe kommen. Ich habe mich für Gynäkologie und Geburtshilfe entschieden, weil ich ein Fachgebiet wollte, in dem es nicht nur um Leid geht, sondern auch neues Leben das Licht der Welt erblickt. Wohl wissend, dass es auch solche Beispiele gibt. Nicht immer ist es leicht damit umzugehen, die Bilder im Kopf nicht mit nach Hause zu nehmen. In der 22. Woche sind es eben schon richtige kleine Menschen, die da auf die Welt kommen. Leben und Tod liegen eben doch schmerzlich nah beieinander. Abtreibung ist hier übrigens nur aus medizinischen Gründen für die Mutter erlaubt. Gut möge man meinen, so spielt man nicht Gott. Leider sind damit auch unerwünschte Nebeneffekte verbunden. Frauen nehmen irgendwelche Kräuter ein, die ein Medizinmann ihnen gibt, damit der Fetus angeht. Und dann landen sie mit schweren Blutungen bei uns im Krankenhaus und neue Probleme ergeben sich, mit denen sie sicher so nicht gerechnet haben.
Arbeiten wird auch dann schwer, wenn man keinen Ansprechpartner hat. Als Berufsanfänger- so wie wir es gerade auf Station zu dritt sind – versichert man sich gerne nochmal bei einem Ober- oder wenigstens Facharzt. Wenn diese aber nicht zu erreichen sind oder von drei zuständigen Oberärzten (Consultants) keiner zur Hauptvisite erscheint, die immer dienstags und freitags stattfindet, dann ist das wirklich doof. Einige von ihnen findet man in der Klinik, die Patienten ambulant behandelt. Andere erscheinen aber auch erst im Krankenhaus, wenn man sie mehrmals angerufen hat. Ich habe diese Woche alleine zwei Ärzte kennengelernt, die ich bisher in den acht Wochen noch nie gesehen habe, schon komisch. Und die werden trotzdem voll bezahlt, wenn die Regierung nicht gerade mal streikt, auch wenn sie nicht erscheinen. Schließlich kontrolliert das keiner. Ein bisschen fragwürdig – ob man mit dem Gewissen leben kann, sollte aber wohl jeder selber entscheiden.

Der Op-Trakt von außen

Kirchen aller Art prägen das Stadtbild von Kisumu. Damit sind nicht immer die prunkvollen Prachtbauten gemeint, die man sich vielleicht darunter vorstellt. Vom Zelt, über eine Wellblechhütte, vom Rohbau bis zum fertigen Gebäude kann das alles sein. So ein Rohbau ist natürlich ziemlich durchlässig – in jederzeit Hinsicht. Jetzt in der Regenzeit erweist sich manch ein Dach nicht immer so dicht, wie gedacht. Auch Hühner habe ich hier schon in einem Gotteshaus gesehen, das stört aber auch keinen. Ein wenig schmunzeln muss ich trotzdem immer.
Generell geht eine Messe hier im Vergleich zu daheim meist länger – um die zwei Stunden. Das liegt zum einen an den langen, aber durchaus sehr interessanten Predigten der Priester, die das aktuelle Geschehen im Land oft einzubeziehen wissen. Zum anderen aber auch an der musikalischen Begleitung. Ob Jugendband oder Chor – jede Woche ist was los. Wer nicht mitsingt, der klatscht, macht irgendetwas anderes mit den Händen oder tanzt einfach ein bisschen. Verstehe ich vielleicht nicht immer was gesungen wird, so bekommt man doch ganz einfach gute Laune dadurch.




Wie schon oft angesprochen, ist der Müll hier in Kenia ein riesen Problem. Jeder lässt alles da fallen, wo er geht und steht. Das liegt sicher auch daran, dass es fast keine Mülleimer an öffentlichen Plätzen gibt. Auch zu Hause findet keine Mülltrennung statt – alles kommt in den gleichen Sack, der am Sonntag vor die Haustür gestellt  und von einem großen offenen Transporter abgeholt wird. Ganz oft wird hier aber auch abends am Straßenrand ein kleines Feuer aus dem Dreck gemacht, der rumliegt. Das stinkt nicht nur, sondern man tut der Umwelt damit sicher nichts Gutes.
Beim Einkaufen im Supermarkt wird alles thematisch verpackt – eine nette Sache, so braucht man zu Hause nicht mehr zu sortieren. Nur fällt durch jede einzelne Plastetüte wieder extra Müll an. Da ich meist mit Rucksack oder großer Tasche unterwegs bin, verzichte ich eh immer darauf.
Die Regierung will aber etwas dagegen tun und so sind ab September diesen Jahres Plastebeutel verboten. Damit ist Kenia vielen europäischen Ländern voraus. Doch es ist dringend nötig, wenn man sieht, wie es überall aussieht. Mit so einer Gesetzesänderung ist natürlich auch ein Umdenken in den Köpfen der Menschen nötig und das braucht sicherlich seine Zeit. Alte Gewohnheiten wirft man schließlich nicht so schnell ab.


Müll soweit das Auge reicht.

Apropos Kopf – auf dem wird hier in Afrika ganz viel transportiert. Das kann von der Handtasche, über den Einkauf bis zu schweren Reissäcken oder Wasserkanistern alles sein. Was so einfach aussieht, ist von klein auf antrainiert. Bei unsereins würde es wohl eher unbedarft wirken. Jeder Kenianer macht es mit einer unerschütterlichen Selbstverständlichkeit -wirklich bewundernswert.




Ab der nächsten Woche arbeite ich auf der Wochenstation – ob auch da der Alltag schnell einkehrt und was mein Leben hier in Kenia sonst so ausmacht, dazu dann das nächste Mal mehr…

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