Sonntag, 25. Juni 2017

Afrikanische Gelassenheit

Eigentlich bin ich ja hauptsächlich hier, um zu arbeiten. Eigentlich. Schon Anfang Mai habe ich durch einen kurzen Streik der Ärzte eine der 16 Wochen verloren. Seit 5. Juni streiken nun alle Schwestern der staatlichen Krankenhäuser. Und das ist nicht weniger schlimm und folgenreich, als wenn das ärztliche Personal nicht zur Arbeit erscheint.
In der ersten Woche des Streiks gehe ich noch zur Arbeit. Wir entlassen nach und nach alle Patientinnen‚ die Station leert sich rasant. Neue Patientinnen kommen nicht dazu, denn die Notaufnahme läuft nur notdürftig und die Patienten bleiben dem Krankenhaus fern, da auch die Hebammen nicht arbeiten und so keine Geburten betreut werden können. Meistens sind wir nach einigen Stunden am Vormittag fertig und es gibt nichts mehr zu tun. Die Lage ist schon ein bisschen angespannt, die Patientinnen, die noch auf der Wochenstation sind, werden nur spärlich durch einige Schwesternschüler betreut und Medizin wird auch nur einmal am Tag ausgeteilt. Mir ist nicht ganz wohl dabei einige Frauen nach Hause zu entlassen, mit hohem Blutdruck oder Frühgeburtsbestrebungen ist nicht zu scherzen. Aber da im Krankenhaus keine adäquate Betreuung mehr stattfinden kann, macht es am Ende auch keinen Unterschied mehr. In den Nachrichten hört man, dass durch den Streik Patienten in den Krankenhäusern versterben. Wenn eine Geburt ansteht und die Schwangere nicht genug Geld für ein privates Krankenhaus hat, dann bleibt ihr wohl nichts anderes übrig, als zu Hause zu entbinden. Was dabei alles schiefgehen kann, mag ich mir gar nicht ausmalen.
Für die letzten vier Arbeitswochen wollte ich eigentlich nochmal in den Kreißsaal wechseln, wo ich zu Anfang schon drei Wochen war. Daraus ist bis jetzt nichts geworden, denn es gibt keine Patientinnen. Also bin ich seit zwei Wochen zu Hause. Das mit der Arbeitserfahrung hätte ich mir irgendwie anders vorgestellt. Aber was soll man machen. Mittlerweile habe ich eine Gelassenheit entwickelt die Dinge so hinzunehmen, wie sie sind – ich kann an der ganzen Sache eh nichts ändern. Die Streikkultur hier ist echt eine andere, als bei uns. Ordentliche Verhandlungen sind bis jetzt nicht zu Stande gekommen, weil entweder die Regierung oder der Verband der Schwestern sich nicht eingeladen gefühlt hat. Es ist zum Haare raufen. Nun ja, ich harre der Dinge die da kommen und habe die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben in den nächsten zwei Wochen nochmal Arbeit zu bekommen.

Die vierzehn Tage bis jetzt sind erstaunlich schnell umgegangen, auch wenn ich nicht genau sagen kann, was ich jeden Tag gemacht habe. Ich bin aber definitiv ziemlich ausgeruht und tiefenentspannt. Immer mal wieder ein Gang zum Einkaufen oder für andere kleine Erledigungen und man bekommt auch noch ein bisschen Sonne ab.
Die Müllhalde von Kisumu




Nun mag man vielleicht meinen, ich kann mich glücklich schätzen und die Zeit zum Reisen nutzen. Da ich aber bereits meine Safari und den Strandurlaub für die letzten drei Wochen gebucht habe, sind leider keine großen Sprünge mehr möglich. Gerade wenn man sieht, wie Touristen hier abgeknöpft werden. Der Eintritt für Sehenswürdigkeiten oder Parks ist teilweise mehr als dreimal so hoch, wie für die Einheimischen. Auch bei jeder Hotelübernachtung gibt es drei unterschiedliche Preiskategorien – für Kenianer, für Afrikaner und für alle anderen. Klar sollen Touristen Geld bringen, aber teilweise ist es schon echt unverschämt. Diese Aufteilung sollte mal einer in Deutschland probieren – der Aufschrei wäre riesig (siehe Maut).

Letzten Samstag waren wir dann mal wieder im Dorf bei Dans Familie, denn es gibt drei kleine Hundewelpen, die einfach zum knuddeln sind.



Wenn wir da sind, gibt es meistens auch etwas zu essen. Da es keinen Strom gibt, wird jede Mahlzeit über eine Feuerstelle in einer extra Hütte zubereitet.


Auch wenn es schon spät ist, fahren wir immer wieder zurück in die Stadt, denn Dan darf nicht mehr in seinem Elternhaus übernachten, da er nicht mehr zu Hause wohnt und noch nicht verheiratet ist. Eine Heirat läuft in jedem der Stämme in Kenia ein bisschen unterschiedlich ab. Bei den Luos muss der künftige Ehemann erst Kühe zur Familie der Frau bringen. Je nachdem, wie lieb er die Dame hat, kann das von 2-4 Kühen auch schon Mal bis zu 10 Tieren reichen, habe ich mir sagen lassen. Außerdem müssen beide vom gleichen Stamm sein, es sei denn man kommt aus einer sehr liberalen Familie. Wenn dieses Denken schon in so kleinen alltäglichen Dingen verwurzelt ist, kann man sich vorstellen, wie die Rivalität zu den Wahlen eskalieren kann. Nach der Heirat muss die Frau zur Kirche des Mannes übertreten, keine Ausnahme. Jede feministische Bewegung in Europa hätte sich darüber schon furchtbar aufgeregt.
Eine Geschichte, die mir Lavender erzählt hat, möchte ich euch auch nicht vorenthalten. Wenn die Ehefrau nach Hause kommt und ihren Mann inflagranti mit einer anderen erwischt, dann kann richtig die Post abgeben. Das scheint keine Seltenheit zu sein – so ein junges Sidechick haben wohl viele der Herren. Plötzlich entwickeln die Damen ungeahnte Kräfte – rufen ihre Freundinnen zusammen, schlagen die Dame und rasieren ihr dann noch die Haare ab. Das sollte also wohl überlegt sein ;-)

Irgendwann machen wir uns dann auch auf den Rückweg. Besonders, wenn es schon dunkel ist, geht mir noch mehr die Muffe als sonst. Denn nicht alle Fahrzeuge auf der Straße sind mit Licht unterwegs. Das reicht von Autos über die Motorräder bis hin zu den  Fahrrädern. Das ist nicht nur gefährlich, sondern lebensmüde. Die Polizei hält hier einen schnell Mal an, allerdings wahllos. Die wirklich beeinträchtigten Vehikel zieht keiner aus dem Verkehr. Letztens habe ich ein Auto auf der Straße gesehen, dass nur durch einen Spanngurt nicht auseinandergefallen ist. Ein Wunder, das es überhaupt noch fahren konnte.
Ich muss zugeben, dass ich mich bei Dan im Auto auch nicht furchtbar wohl fühle. Geht es ihm zu langsam voran, dann wird alles lautstark aus dem Weg gehupt, die Überholmannöver sind mehr als waghalsig und die gefühlt zehn verschiedenen Lichthupezeichen verstehen wohl nur Afrikaner. Wenn ich die Augen schließe, bin ich meist entspannter. Trotzdem spreche ich jedes Mal ein Stoßgebet aus, wenn wir heil angekommen sind und mich kein Brechreiz übermannt hat. Bisher habe ich darauf verzichtet von meinem internationalen Führerschein Gebrauch zu machen. An das Linksfahren habe ich mich ja gewöhnt, aber wie alle anderen Straßenteilnehmer unterwegs sind, ist echt abschreckend.



Damit es nicht ganz langweilig wird, habe ich der Organisation, die meinen Osterausflug vergeigt hat heute noch eine Chance gegeben. Es sollte ein „Fun ride“ mit den Mountainbike in und um Kisumu werden. Auf Facebook konnte man die 20,4 km lange Strecke schon einsehen. Meine Sorge, dass ich auf Grund der wenigen körperlichen Betätigung bisher nicht mithalten kann, war absolut unberechtigt. Wie man so langsam fahren kann, dass man fast steht, ohne vom Fahrrad zu fallen, habe ich heute gelernt. Für die gleiche Strecke hätte ich in Deutschland höchstens anderthalb Stunden gebraucht. Hier waren wir knapp drei Stunden unterwegs. Das ist wohl die allgemeine afrikanische Langsamkeit.




Die Truppe war bunt gemischt, zwei Spanierinnen, ein Holländer, ich und noch eine andere Deutsche und ein paar Kenianer- so um die 10 Leute. Die andere Deutsche war eine typische Lisa, wenn ihr versteht, was ich meine (Entschuldige an alle Lisas) Nach dem Abi nach Afrika gegangen um in einem Umweltprojekt zu arbeiten, mit dem Selbstbewusstsein, als würde sie schon immer hier leben. So schlecht hört sich auch ihr Englisch an und sie fühlt sich super, weil sie die vielen kleinen Kinder auf dem Weg mit „Sasa“ (Hallo) begrüßen kann. Danach erklärt sie natürlich noch, dass das nur informell ist und man so nur Freunde und Bekannte grüßt. Am Ende kommt aber doch nochmal die deutsche Ader durch, weil ihr das Tempo einfach zu langsam ist. Bloß gut, dass „Meine Fresse“ alle anderen nicht verstehen. Ich verkneife mir ein Schmunzeln.
Wieder auf dem Gelände angekommen, wo wir alle gestartet sind, gibt es noch Toast mit Avocado und Tomate und einen Erdbeersaft, der eher nach Kinderzahnpasta schmeckt. Die meisten verabschieden sich. Zu viert machen wir uns nochmal auf den Weg zum Dunga Beach. Strand gibt es da nicht, dafür ein tolles kleines Outdoorrestaurant auf einem Hügel über dem See. Im Schatten unter einer Akazie genießen wir die kühle Briese des Viktoriasees und lassen uns kühles Tusker schmecken – herrlich.




Als wir schließlich wieder zurück sind und vom Fahrrad absteigen, tut mein Hintern ziemlich weh. Fahrradwege gibt es nicht und die Wege auf denen wir unterwegs waren sind steiniger als jede Holperpiste fürs Auto. Mein Hinterteil scheint auch nicht afrikanisch genug abgepuffert zu sein für so einen Mountainbikesattel ;-)


Als ich abends schließlich zu Hause ankomme bin ich trotzdem überglücklich über die gelungene Abwechslung und die netten Menschen, die ich kennenlernen durfte.

Wie es mit dem Streik weitergeht und ob ich in den nächsten beiden Wochen das Krankenhaus nochmal von innen sehen werde, dazu mehr das nächste Mal.

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